GRAPHISOFT

Der Nachhaltigkeitsbegriff der Zukunft

BIM – Building Information Modeling – bewegt die Baubranche stark und Baufachmedien thematisieren die digitale Planungsmethode in fast jedem Magazin, Newsletter oder in zahlreichen Blog-Beiträgen. Dabei ist BIM nur ein, wenngleich sehr wichtiger, Teilaspekt in einem ganzheitlichen, digitalen Prozess aus Planen, Bauen, Betreiben, Modernisierung und Umnutzung, Rückbau und Recycling. Dieser Prozess verlangt wesentliche Veränderungen in der Kommunikation aller Beteiligten im Rahmen der Zusammenarbeit. Unter dem Begriff Kollaboration gewinnt eine ernsthafte, übergreifende Vernetzung im Projekt weiter an Wichtigkeit und wird noch bedeutsamer. Denn die Qualität interdisziplinärer Kooperationen entscheidet in Zukunft maßgeblich über den Erfolg oder Misserfolg eines Projekts.

»Kreativität und Innovation – das sind zwei Kriterien, die sich mit der Zeit entwickeln und dabei immer komplexer werden. Die Rolle des Architekten ist für die Gesellschaft heute so interdisziplinär, wie nie zuvor. Beides spielt zusammen mit den technologischen Entwicklungen, die er aktuell und in Zukunft nutzen wird.« Agron Deralla, AllesWirdGut, Wien

Damit sich der Weg einer übergreifenden, kollaborativen (oder auch integralen) Planung beschreiten lässt, sind neue Werkzeuge notwendig. Die umfassende Arbeit des Architekten und Fachplaners kann mit ihnen vereinfacht und effizient gestaltet werden. Parametrische Tools, die beispielsweise bei vorheriger Festlegung von festen Abhängigkeiten stets korrekte Grundrissvarianten ermitteln, sind schon jetzt im Einsatz. Hierdurch entsteht keineswegs der perfekte Grundriss, denn die Abwägung für den richtigen, den idealen Grundriss im individuellen Projekt, erfolgt weiterhin durch den Architekten. Seine Beteiligung im Entwurf bleibt entscheidend. Er ist es, der unter anderem aus funktionalen und konstruktiven sowie nach menschlichen und gestalterischen Parametern lebenswerte Architektur schafft. Denn hier liegen die Grenzen der computerisierten Planung mit BIM und des Einflusses von KI (Künstlicher Intelligenz) auf das Bauen: Zu einer Entscheidung wie die des freien Geistes, ist eine Maschine nicht fähig.

»Der Schwerpunkt vieler Architekturfakultäten liegt weiterhin in der Entwurfslehre. Wir brauchen aber gut ausgebildete Digitalisierungsexperten in den Büros, für die der BIM-Prozess zum Alltag wird und die ihre digitalen Werkzeuge beherrschen!«
Holger Kreienbrink, Graphisoft, München

Heranwachsende Architekten- und Fachplanergenerationen sehen sich mit bisher schwer fassbaren technologischen Entwicklungen konfrontiert. Und sie sollen im Rahmen ihrer Ausbildung auf sich kontinuierliche verändernde Bedingungen im Planungs- und Bauprozess sowie im Gebäudebetrieb vorbereitet werden. Die Aufgabe der Lehrinstitute liegt somit darin, neue Arbeitsmethoden und Prozesse an die Lernenden heranzutragen und nicht den „Status quo“ im Bauen zu konservieren. Wir brauchen Digitalisierungsexperten, für die die interdisziplinäre Planung zum Alltag wird. Begriffe wie BAP (BIM Projektabwicklungsplan) und AIA (Auftraggeber Informationsanforderung) müssen sie einordnen, verstehen, interpretieren und projektspezifisch anwenden lernen.

»Innovative Werkzeuge werden meine Arbeit weiter beeinflussen, beispielsweise die Integration des parametrischen Modellierens in den Planungsphasen. Damit eröffnen sich neue Horizonte und Aufgaben. Wir können mit neuen Tools unsere Planung weiter optimieren, haben die Kosten im Griff und einen Zeitgewinn, der in den Arbeitsprozess zurückfließt und dort sinnvoll und kreativ genutzt werden kann.« Agron Deralla, AllesWirdGut, Wien

Bringt man den Gebäudelebenszyklus mit der technologischen Entwicklung in Planungsprozess und Fertigung sowie der voranschreitenden Digitalisierung des Bauprozesses in Deckung, offenbart sich ein veränderter Nachhaltigkeitsansatz in der Architektur. Der Begriff Nachhaltigkeit, in den 2000er Jahren stark mit rein technischen und energetischen Anforderungen besetzt, erhält neue Facetten: Nachhaltigkeit bedeutet Planung, maschinelle Fertigung und personellen Aufwand, Gebäudebetrieb, Sanierung, Umnutzung und Recycling in einem ganzheitlichen Kontext und über einen weitaus längeren Zeitraum als bisher zu betrachten. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist der sog. „Ersatzneubau“, der aufgrund konstruktiver, energetischer oder wirtschaftlicher Aspekte erstellt wird, keineswegs eine nachhaltige Lösung. Und er ist ebenso nicht die wirtschaftlichste Option. Denn die Energie, die in Neuplanung, Abriss, Recycling und Bau eines Ersatzneubaus fließt, ist um ein vielfaches größer als der oftmals sinnvolle Um- oder Teilrückbau eines Gebäudes.

Die Interviews mit Agron Deralla und Holger Kreienbrink, auf denen dieser Text basierte, erarbeitete Tim Westphal, freier Journalist und Fachbuchautor aus Berlin.

www.archicad.de